Epilog

 
Dark Poker

 

Epilog:

 

Sachiko und ihr Mann Shane sassen im Auto, auf dem Rücksitz Alec, ihr fünf Jahre alter Sohn. Die kleine Familie war auf der Rückreise von ihren Ferien in Japan. Ein mehrstündiger Flug lag hinter ihnen, als sie schliesslich am Flughafen von Wilmington gelandet waren, dort ihr Auto abgeholt hatten und los gefahren waren.

Regen prasselte auf die Autoscheibe und die Scheibenwischer glitten schnell von einer Seite zur anderen, und wieder zurück. Der Wind peitschte um den Wagen herum und es schüttete wie aus Eimern. Shane konnte alles was vor ihm passierte kaum noch erkennen, gab sich aber alle Mühe nicht vom Weg abzukommen. Holpernd fuhr das Auto durch eine Seitengasse, die mit Pflastersteinen bedeckt war. Langsam rollte das Auto den engen Weg entlang.

 

„Kannst du die Scheibenwischer nicht schneller stellen?“, wollte Sachiko von ihrem Mann wissen, „man sieht ja fast nichts!“ Shane schüttelte den Kopf: „Sie laufen schon auf höchster Stufe.“ Blinzelnd versuche er durch die Wasserflut auf der Frontscheibe zu blicken. Abermals krachte etwas und Sachiko schrie auf, doch meistens war es nur ein Fenster, welches durch den Wind zu geschlagen wurde. Langsam steuerte Shane den Wagen um eine Kurve und dann wieder gerade aus. Auf beiden Seiten des Autos ragten Bäume in die Höhe, die vom Wind kräftig ins Taumeln gebracht wurden. Es blitzte und donnerte abermals, doch der kleine rote Volkswagen fuhr unbeirrt den Waldweg entlang.

„Schatz, wir sollten nicht durch den Wald fahren! Lass uns umdrehen und eine andere Route wählen. Mir ist das nicht geheuer…“, flüsterte Sachiko. Shane nahm eine Hand vom Lenkrad und berührte damit ihre Wangen. „Alles ist gut.“, sagte Shane und blickte seiner Frau kurz ins Gesicht, bevor er sich wieder der Strasse zuwandte. „Du brauchst keine Angst zu haben, ich bringe uns alle wohlbehalten nach Hause zurück.“ Sachiko schmunzelte und warf ein Blick über die Schulter, um nach Alec zu sehen.

„Er schläft“, teile sie ihrem Mann mit, „er ist so süss wenn er in seine Träume versunken ist… Weißt du noch Shane, als wir ihn das erste Mal in den Kindergarten gebracht haben, wo er sich aber schlicht und einfach geweigert hat, ohne uns dort zubleiben?“ Ein leises Kichern kam aus ihrem Mund. „Ja“, antwortete Shane, „und wir sind den ganzen Tag dort geblieben und haben mit ihm gespielt.“ – „Die Kindergärtnerin hat gemeint, wir sollen ihn in Ruhe lassen, dass er sich mit anderen Kindern anfreundet und es ihm am nächsten Tag gelingt, sich von uns zu trennen.“, fügte Sachiko hinzu. „Und das jeden Tag. Alec wollte uns partout nicht verlassen und erst nach einem halben Monat, konnten wir ihn bis zum Gartentor des Kindergartens begleiten und uns dann von ihm trennen. Dies ging so weiter, bis er selbstständig seinen Weg zum Kindergarten lief.“

Shane lachte laut und warf den Kopf in den Nacken: „Du hast recht, unser kleiner Junge hat ganz schönes Theater gemacht, aber jetzt ist er ja schon gross.“ – Na ja, für mich ist er immer noch klein, aber ich freue mich schon auf seine erste Freundin, die er mit nach Hause bringt.“ – „Na, all zu lange musst du ja nicht mehr warten, er wird sicher ein Frauenschwarm sein.“, sagte Shane. Sachiko schmunzelte und gab Shane einen Kuss auf die Wange, dann schaute sie wieder nach vorne durch den Wasserschleier hindurch.

Ein weiterer Donnerschlag folgte dem leuchtenden Blitz und der laute Knall weckte Alec, der sofort zu weinen begann. Kleine Tränen kullerten über seine Wangen, aber Sachiko fing sie mit dem Zeigefinger auf, bevor sie den Boden berühren konnten. Sie hauchte ihm ein paar zärtliche Wörter in Ohr, wie: „Keine Angst, ich bin ja da.“ Als Alec`s Weinen langsam leiser wurde, begann sie zu singen:

 

„Siehst du doch, da vorne steht`s. Wirst du immer bei mir sein, hast du geglaubt, ich würde dich jemals verlassen. Oho, nein…

Blick auf zu Sternen sie werden bei dir sein. Sie wachen über dich und bewahren dich vor schlimmen Dingen.

Schlaf nun ein mein Kind, du brauchst nicht wach zubleiben. Wir alle wachen über dich und lassen dich nie allein…“

 

So fuhr sie fort und Alec fiel wider in einen ruhigen Schlummer. Sachiko drückte ihm einen Kuss auf die Stirn und wandte sich wieder nach vorne. „Du bist eine tolle Mutter.“, säuselte Shane, nachdem er sich versichert hatte, das Alec genügend tief schlief, um nicht wieder aufzuwachen. „Danke…“, entgegnete Sachiko, „aber du bist auch ein guter Vater und Mann.“ Ihre Augen klimperten, als sie dies hinzufügte. Am liebsten hätte Shane sie sofort in seine starken Arme geschlossen, aber er durfte das Lenkrad nicht loslassen, denn im Augenblick war die Strasse so ungleichmässig, dass er einige Schwierigkeiten hatte, nicht immer näher an die Bäume zu geraten.

Shane nahm den Fuss vom Gaspedal, weil er gerade nichts erkennen konnte. Der Wagen wurde langsamer, bis er schliesslich zum Stehen kam. „Was ist?“, fragte Sachiko. „Ich sehe rein gar nichts und der Boden ist aufgeweicht, sodass es nicht mehr lange dauern kann, bis eines der Räder in den Boden einsinkt.“ – „Aber wir können auch nicht einfach hier warten, bis der Regen aufhört! So wie es im Moment schüttet, bezweifle ich, dass es nachlässt.“, widersprach Sachiko. Shane nickte und fuhr an, doch noch keine zwei Meter waren sie gefahren, als sie ein lautes Puffen hörten, der Motor aufheulte und schliesslich versagte. „Darf denn das wahr sein.“, seufzte Sachiko und hielt sich die Hände an den Kopf. „Ich gehe nachschauen. Vielleicht ist eine Schraube locker, oder ein Schläuchlein ist geplatzt. Das kann vorkommen, wenn das Auto überfordert ist und unseres ist ja sowieso nicht mehr das was es einmal war.“

 

Shane klappte die Autotür auf und stieg in die rauschenden Fluten des Regens. Die Jacke über den Kopf haltend, öffnete er die Motorhaube, um nach dem Rechten zu sehen. Einige Minuten, stand Shane im Regen und musterte das Gewirr von Schläuchen, Ventilen und Dingen, die er nicht benennen konnte. Sachiko widmete sich derzeit Alec, die ihn fest in eine warme Decke wickelte und mütterlich ansah. Nach einiger Zeit, löste sie ihre Augen von Alec und drehte sich, um Shane ins Visier zu nehmen, der immer noch eifrig am Motor herum schraubte. Sie erspähte zwei kleine Lichter, weiter hinten in der Strasse, die rasend schnell näher kamen. Zuerst waren es nur kleine Flecken, dann wurden sie in atemberaubender Geschwindigkeit grösser, bis Sachiko die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos erkannte.

Sie schrie Shane etwas zu, doch der konnte sie durch den prasselnden Regen nicht verstehen und schaute sie nur verwirrt und fragend an. Als Sachiko mit fuchtelnden Händen Shane bedeutete, dass er nach hinten schauen musste, wandte er sich um und erstarrte. Das entgegenkommende Auto, machte keine Anstalten langsamer zu werden, sondern legte nochmals einen Gang zu. Es raste auf den Volkswagen der Familie zu, Shane wollte schon zur Seite springen, aber da seine Schuhe in den schlammigen Boden eingesunken waren, fiel er hin. Sachiko kreischte und hielt sich die Hände vor das Gesicht, als wolle sie mit dieser Bewegung das Auto verschwinden lassen.

Der Raser steuerte sein Auto direkt auf die Familie zu und bevor sich Shane aufrichten und aus dem Weg hechten konnte, krachte das entgegenkommende Auto mit voller Wucht gegen Shanes Rücken. Shane wurde nach vorne geschlagen, knallte mit dem Kopf gegen die Frontscheibe, sein Körper wurde zu Brei gemahlen und die Front des Autos eingedrückt. Sachiko und Alec wurden nach vorne geschleudert. Blut quoll aus Shanes Mund, welches die Scheibe hinab floss. Shane würgte und zuckte. Er konnte sich nicht rühren und er merkte wie Kälte in ihm aufkam. Seine Augen weiteten sich und er spuckte erneut Blut. Sachiko war wie in Stein gemeisselt. Die Hände vor das Gesicht gedrückt, zu geschockt um sich zu rühren. Alec weinte und krähte aus Leibeskräften. Sachiko sah ihren Mann an, sah ihn aber nicht wirklich. Es konnte nicht sein. Ein weiterer Bach Blut floss aus Shanes Mund, Nase und Ohren.

Sachiko schrie. Shane hustete, dann erschlaffte er. Sachiko sah, wie sein Körper jede Spannung auflöste, die seine Muskeln bewegt hatten und sein Herz schlagen liessen. Shane schnaufte seinen letzten Atemzug aus, dann rührte er sich nicht mehr. Die Augen weit geöffnet lag er da, und das Blut wurde vom Regen weg gewischt. Sachiko schluchzte und schrie aus voller Kraft in die Nacht hinein, liess der Trauer ihres Herzens freien Lauf und Tränen, welche der Regenflut draussen ähnelten, rannen ihr die Wange hinab und tropften auf den Autositz. Keiner würde mehr da sein, der diese Tropfen auffangen würde. Niemand wird für sie und den kleinen Alec sorgen. Alles war vorbei. Alles… Sachiko liess ihre Hände sinken. Ihr war es gleich, dass ihre Beine zwischen dem Sitz und der eingedrückten Front eingeklemmt waren und ihr Körper schrie, als sie langsam das Gespür für ihre Beine verlor. Auch die Platzwunde an ihrer Stirn, hielt sie für nicht die Rede wert, im Gegensatz zu ihrem seelischen Kummer den sie durch litt.

 

Unter grösster Anstrengung schaute sie auf die Rückbank, um zu sehen wie es Alec geht. Dieser weinte laut, schien aber nicht verletzt zu sein. Ein kleiner Trost flammte in Sachiko auf, als sie Alec erblickte. „Alec ist da. Er wird auch weiterhin bei mir sein.“ Und bei dem Gedanken an ihren Mann schluchzte sie abermals. Zitternd griff sie nach ihrer Handtasche, die bei dem Zusammenstoss an die Frontscheibe geklatscht war und nun am Boden lag und wühlte darin umher und umklammerte ihr Handy. Der kleine Anhänger glitzerte im Licht der Scheinwerfer des anderen Autos. Es war eine Rose die so feine Konturen besass, dass sie durchaus als Echte durchgehen konnte, wäre sie nicht um ein Vielfaches kleiner und aus einem Edelstein angefertigt worden. Es war Shanes Geschenk an Sachiko zu ihrem fünften Jahrestag gewesen.

Sachiko versuchte ihren Finger auf die Taste mit der Nummer eins zu drücken, aber das Zittern ihres Körpers war so heftig, dass alles was sie berührte ebenfalls bebte. Mit Mühe gelang es ihr auf die Ziffer zu drücken, und anschliessend rasch zwei Mal hintereinander auf die Taste mit der Zahl vier drauf. „Hundertvierundvierzig“, sagte Sachiko, „der Notruf“. Immer noch bebend hielt sie ihr Handy an ihr Ohr und wartete. Die Sekunden die verstrichen, bis jemand auf der anderen Seite der Leitung den Hörer abnahm, kamen ihr vor wie Stunden oder Tage. „Notruf hundertvierundvierzig! Wie kann ich helfen?“, erklang eine aufgeregte Männerstimme aus dem Handy. Stotternd erzählte Sachiko das Ereignis in Kurzformat und unterdrückte bei jedem Wort ein Schluchzer. Als sie ihren Aufenthaltsort angegeben und geendet hatte, sprach der Sanitäter: „In Ordnung! Wir rücken aus. In etwa zwanzig Minuten sind wir bei Ihnen!“ Er legte auf und Sachiko sagte: „Dann ist es aber wirklich zu spät… Ich stecke hier fest, ob Alec vielleicht innere Blutungen hat, weiss ich nicht, und Shane…“ Sie schaute durch das Fenster, an dem immer noch Blut klebte, auf das friedliche Gesicht ihres Mannes, dessen graublauen Augen offen standen.

Es schüttelte Sachiko und Einsamkeit breitete sich in ihr aus und übertönte die Trauer. Sie war zu müde um weiter zu heulen, zu kraftlos um sich aus der Einklemmung zu ziehen und zu traurig, um Shane`s Leiche noch einmal sehen zu können. Sie wurde ganz ruhig. Aus der Platzwunde auf ihrer Stirn sickerte dunkelrotes Blut in ihr schwarzes langes Haar. Sachiko lehnte den Kopf zurück und versuchte an nichts zu denken, einfach in sich zu verschwinden und nicht mehr heraus zu kommen. Alec`s schrilles Weinen hörte sie nur noch aus weiter Ferne. Sie war bleich, denn sie hatte viel Blut verloren. Eine einzelne Träne kullerte ihr über die Wange, die sich sogleich mit der roten Flüssigkeit, die von ihrer Stirn austrat, vermischte. „Shane. Alec. Ich hab euch ganz fest lieb.“, flüsterte sie, dann wurde ihr schwarz vor Augen. Ihr Geist, glitt über die Stufen zum Jenenseits und verschwand für immer.

 

Als die Sanitäter, der Leichenwagen und die Polizei eintrafen, fanden sie einen Ort, der überströmt war von Blut. Die beiden Autos waren zum Verschrotten. Zwei Sanitäter liefen zum Auto des Rasers hinüber, andere zwei zum Volkswagen der Familie, nachdem die Polizei alles aufgezeichnet hatte. „Ein so trauriges Schauspiel habe ich noch nie gesehen.“, sagte ein Polizist, als er mitansah wie ein Sanitäter Shane`s Augen schloss und ihn unter ein Leichentuch legte. In seinem Unterleib und seinen Beinen waren alle Knochen zerschmettert worden. Nur der Oberkörper und der Kopf waren nicht zu Brei geworden. Auch Sachiko wurde abtransportiert. Ihre Augen waren bereits geschlossen gewesen, was den Sanitätern sagte, dass sie mit grosser Wahrscheinlichkeit verblutet war. Der Raser war ebenfalls tot, und konnte somit keine Auskünfte mehr geben. Auch dieser wurde mit einem Leichentuch von den Blicken Neugieriger geschützt.

Eine Sanitäterin entdeckte Alec, wie er immer noch weinend auf seinem Rücksitz sass. Seine Augen waren verquollen, als habe er stundenlang getrauert. „Mit Sicherheit hat dieser Junge einen bleibenden psychischen Schaden, und vielleicht kann er sich nie mehr in ein Auto setzen, oder mit jemandem Freundschaft knüpfen.“, berichtete ein Sanitäter den Polizisten. Diese liessen den Kopf hängen. „Dass einem Kind so etwas passieren kann… Unglaublich. Ich frage mich, wo Gott zu dieser Zeit gesteckt hatte.“, flüsterte ein junger Polizist. Dieser war erst seit Kurzem bei der Streife und hatte noch nie einen Unfallort mit eigenen Augen gesehen. Einer der Älteren legte ihm eine Hand auf die Schultern und sagte: „Gott ist nicht mit allen Menschen gerecht, mein Junge.“ Dann lief er weiter. „Wie geht es dem Kleinen?“, wollte der junge Polizist wissen. „Psychisch ist er labil, aber physisch scheint er in Ordnung zu sein, ausser er habe ein leichtes Schleudertrauma.“, antwortete ein Sanitäter mit weissem Schnurrbart, der auf beiden Seiten seines Mundes hinab wuchs. Der junge Polizist schüttelte den Kopf: „Bringt ihm so schnell wie möglich ins Krankenhaus! Hier können wir nicht mehr viel für ihn tun. Fahrt los, wir regeln das hier.“, und deutete auf die kaputten Autos und die riesige Blutlache.

Die Sanitäter sassen in das Krankenauto, ein paar vorne und mehrere hinten zu Alec und fuhren mit Blaulicht los in den Spital. Shane, Sachiko und der Raser wurden mitsamt dem Leichentuch in dem Leichenwagen verlagert, bevor auch dieser seines Weges ging. Nur die Polizei blieb noch, um eventuelle Spuren eines geplanten Mordes zu suchen.

 

Der Krankenwagen ratterte über den holperigen Waldweg und schon bald gelangte er auf eine Hauptstrasse. Im hinteren Teil des Wagens, versorgten vier Sanitäter Alec`s Wunden. Sie waren nicht lebensbedrohlich, doch Vorsicht hatte noch keinem geschadet. Mehrere Kratzer und Schürfungen überdeckten Alec`s Köper und Gesicht, doch keine blutete. Ein Sanitäter hatte Alec eine Maske aufgesetzt, mit der er besser atmen konnte. Sein kleiner Körper lag auf einem Bett und sein Hals wurde mit einer Halskrause stabilisiert, denn die Befürchtung der Sanitäter, dass Alec ein Schleudertrauma hatte, hatte sich bewahrheitet. Konzentriert kümmerten sich alle Anwesenden um Alec. Er schrie nicht mehr, sondern wimmerte leise vor sich hin.

Mit einem leisen Quietschen der Bremsen, kam der Krankenwagen vor dem Spital zum Stehen. Die Rollen des Bettes, auf dem Alec lag, wurden heraus geklappt und flitzten über den Boden des Spitals, als die Sanitäter Alec in einen Behandlungsraum brachten. Die Zeit verstrich, denn Alec nahm nur die Hälfte seiner Umgebung war. Er war kurz davor in Ohnmacht zu fallen. Seine Gedanken schwirrten im Kopf herum und fanden ihren rechtmässigen Platz nicht mehr.

Die Behandlung ging zu Ende und die Sanitäter brachten ihren Patienten in sein Zimmer, wo er einer Krankenpflegerin übergeben wurde, die sich von nun an, für den Rest seines Aufenthaltes im Krankenhaus, um ihn kümmern würde. Alec wurde in sein Bett gelegt und obwohl dieses Kissen und diese Bettdecke überhaupt nicht vertraut rochen, und er sonst eigentlich nie schlafen konnte, wenn er den Geruch seiner Mama nicht wahrnahm, siegte die Müdigkeit und er schlief ein.

 

Alec schlief mehrere Tage durch. Die Ärzte meinten, dies täte der Körper automatisch, um den Stress seiner Seele zu verarbeiten. „Er ist noch ein Kind und so früh, auf einen Schlag seine Eltern zu verlieren ist schon brutal.“, bemerkte an einem Morgen ein Arzt, als Alec schon drei Tage lang ohne Unterbruch geschlafen hatte. „Weiss man eigentlich schon was Neues über den Junge?“, fügte er hinzu. Die Krankenschwester, die Alec seit seinem Eintreffen im Krankenhaus betreut hatte nickte, holte Alec`s Akte aus einer Schublade des Schreibtisches und berichtete: „Sein Name ist Alec Shay, sein Vater heisst Shane Shay, von amerikanischer Nationalität und seine Mutter ist Sachiko Shay-Yamasaki, von japanischer Nationalität, ist aber eingebürgert worden. Alec ist jetzt fünf Jahre alt, geboren am 13. September und die Familie wohnt am Stadtrand von Wilmington. Der genaue Ort ist nicht bekannt.“, schloss sie. Sie schaute von der Akte auf und sah ihren Chef an. Dieser nickte und schritt den rechten Gang entlang davon.

 

Eine Woche lang hatte Alec geschlafen, bis er schliesslich langsam die Augen öffnete. Ihm war ein wenig schwindelig und das viele Weiss irritierte ihn. Eine grosse grüngelbe Pflanze wuchs neben dem Fenster, welches offen stand. Ein leichter Wind wehte um seine Ohren, als er sich aufsetzte. Alec hatte nicht das Bedürfnis das Fenster zu schliessen. Lieber musterte er seine Umgebung. Den Laken, den er um seinen schmalen Körper gewickelt hatte, war ebenfalls weiss. Neben ihm war ein Infusionsständer, an dem ein kleiner Beutel mit klarer Flüssigkeit hing. Der Schlauch von dem Beutel führte zu seiner linken Hand und ging dort in ein ganz feines Schläuchlein über, welches in seiner Haut steckte.

Alec spürte nicht den geringsten Schmerz. Ihm war alles egal. Die pfeifenden Vögel, die draussen auf einem Baum sangen, oder der Vorhang, der im Wind wehte. Alles war ihm egal. Alles. Er brauchte eine Weile, bis ihm klar wurde was geschehen war. Tränen schossen in seine Augen und liefen sein Gesicht hinab, doch er gab keinen Laut von sich. Alec klammerte sich an die Decke und rollte sich zusammen. Einem Bach gleichend flossen die salzigen Tropfen über seine Nase und fielen auf das weisse Bett. Alles war weiss, nur seine schwarzen Haare stachen wie Dornen aus dem Szenenbild heraus. Er blinzelte abermals und nach einer Weile verebbte der Tränenstrom und nur noch die Stimme der Natur war zu hören.

Ihm kam es vor, als seien seine Eltern schon vor Jahren fort gegangen. Kalte, einsame Leere breitete sich in ihm aus und er ergriff den Laken noch fester. Seine Eltern würden nie wieder kommen, dem war er sich sicher. Das Lied, welches seine Mutter für ihn immer gesungen hatte, wenn er sich einsam gefühlt hatte oder nicht schlafen konnte, ging ihm durch den Kopf. Wort für Wort, Satz für Satz, Strophe für Strophe. Seine Gedanken überschlugen sich, als das schreckliche Ereignis letzter Woche, mit voller Wucht auf ihn einflutete: Der prasselnde Regen, die kreischenden Stimmen, ein kleines Lichtchen, welches immer grösser wurde, dann ein lauter Knall, weitere Schreie und dann; Stille.

 

Mehrere Wochen blieb Alec noch in diesem Krankenhaus, wo alles weiss war. Ein Psychologe betreute ihn regelmässig, zusammen mit der freundlichen Pflegerin, die ihn so nett empfangen hatte. Die Stunden die er bei diesem Psychologen verbrachte, war für ihn pure Zeitverschwendung. Seine Eltern würden damit nicht wieder lebendig werden und auch seine Alpträume, die ihn jede Nacht heimsuchten, wollten nicht aufhören. Also, was brachte diese Beratung schon? Zu all dem plagte Alec den Gedanken, in ein Waisenhaus gesteckt zu werden. „Da geh ich nie und nimmer hin!“, hatte Alec seinen Psychologen angeschrien, als der ihm klar machen wollte, dass Alec nicht alleine zu Hause bleiben könne. So ohne Betreuung. „Ich bin schon gross! Ich kann auf mich selber aufpassen!“, hatte er getobt. Die Ärzte meinten, Alec sollte am besten den Termin gleich wissen, an dem er den Spital verlassen und in ein Waisenheim gehen würde. Weinend war Alec aus dem Raum gestürzt als er dies erfuhr: 12. Oktober. Das Datum für den Eintritt in die Hölle.

 

 

12. Oktober

 

Alec hatte seine Sachen gepackt. Er musste nicht lange alles zusammen suchen, denn alles was er besass, war ein Foto von ihm und seinen Eltern, welches sie in den Ferien in Japan gemacht hatten, und einen kleinen Stapel Klamotten.

Seine Tasche neben sich liegend, wartete Alec vor dem Eingang zum Krankenhaus auf seine Pflegerin, welche gerade ihr Auto holte. Sie sollte ihn zum Waisenhaus bringen. Alec hatte noch nie etwas Gutes von einem Waisenhaus gehört. Seine Kameraden hatten ihm erzählt, dass es dort nur doofe Kinder gäbe, die Waisenhausleiterin eine Teufelin wäre und das Essen ekelhaft sei. Kurz gesagt, es sei der Horror. Alec hatte sich immer gesagt, er würde lieber sterben, als dort hin zu müssen, aber an diesem Tag blieb ihm keine Wahl als sich in das Verderben zu stürzen. Der weisse Wagen hielt vor seiner Nase, Alec packte seine Tasche, öffnete die Autotür und stieg ein. Ihm war etwas mulmig zu Mute. Seit dem Unfall war er nicht mehr in einem Auto gesessen, und als die Krankenschwester aufs Gaspedal drückte, der Wagen los düste, schrie Alec vor Schreck auf.

 

Es war wahrlich eine Höllenfahrt. Das weisse Auto rutschte auf dem nassen Boden um die Kurven und obwohl die Krankenschwester vorsichtig fuhr, klammerte sich Alec an allem fest, was er erreichen konnte. Er war kreide bleich und ihm war übel. Die Fahrt hatte nur eine viertel Stunde gedauert, doch für Alec mehr als genug. Der Wagen war noch nicht still gestanden, da hüpfte Alec mit seiner Tasche aus dem Auto und erbrach sich ins Gras neben an. Er hob den Kopf und betrachtete das Waisenhaus. Nun war es also so weit. Er stand mit seinem Gepäck vor dem Gebäude, wo er die nächsten paar Jahre verbringen würde. Ein Schauder lief über Alec`s Rücken hinunter. Das Haus sah aus wie eine Villa, nur alt und zerfallen. Alec blickte sich über die Schulter zu der Pflegerin um, um eine Erklärung zu erhalten, ob sie hier wirklich richtig waren. Die Krankenschwester nickte. Alec atmete tief durch und machte den ersten Schritt in die Hölle.


Weiter mit Kapitel 1

~Willkommen auf DaЯk PokeЯ~
 
Wenn du Dark Poker gelesen hast, gib doch bitte einen Kommentar ab, sodass wir unser Schreiben weiter verbessern können.

Vielen Dank!
 
Heute waren schon 2 Besucher (4 Hits) hier!
PLEASE READ THE STORY Diese Webseite wurde kostenlos mit Homepage-Baukasten.de erstellt. Willst du auch eine eigene Webseite?
Gratis anmelden